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Steilemann New Head of Covestro

June 1, 2018

Der Frischling im Dax

Beförderung zum 01. Juni: Markus Steilemann, Jahrgang 1970, wird am Freitag Vorstandschef von Covestro. Bild: EPA

Was tut sich da in Leverkusen? Markus Steilemann steigt auf zum Chef von Covestro, der jüngsten Firma im Dax. Angefangen hat alles mit einer hässlichen grünen Decke.

Die Riege der Konzernlenker in der obersten deutschen Spielklasse bekommt Zuwachs: Markus Steilemann wird am Freitag Vorstandschef des jüngsten Dax-Aufsteigers. Dieser hört auf den Plastiknamen „Covestro“, erfunden für Bayers ehemalige Kunststoffsparte, die 2015 in die Freiheit der Börse entlassen wurde, damals verspottet als Langweiler aus Leverkusen. Inzwischen lacht niemand mehr: Der Aktienkurs hat sich binnen drei Jahren verdreifacht, und der künftige Chef frohlockt über den „Kickstart“, den sein Konzern hingelegt hat: „Wir sind ein Unternehmen mit 80-jähriger Geschichte und der Philosophie eines Start-ups.“

Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Nun lautet eine beliebte Frage für die Suche nach dem richtigen Chef in der Chemiebranche: Was ist besser? Ein Kaufmann oder ein Chemiker an der Spitze? In der BASF zum Beispiel hat gerade der Naturwissenschaftler Martin Brudermüller den Betriebswirt Kurt Bock abgelöst, Covestro bekommt jetzt beides in einer Person: Markus Steilemann, Jahrgang 1970, ist Doktor der Chemie und ausgebildeter Betriebswirt. „Während der Promotion habe ich sechs Semester Aufbaustudiengang BWL absolviert“, erzählt der Mann, der nahe Aachen aufgewachsen ist, wo der Vater einen „Kleinsttextilbetrieb“ führte, während die Mutter als Sachbearbeiterin in einem Büro auswärts Geld dazuverdiente.

Bodenständig und bescheiden ging es zu, der Aufstieg in die Vorstandsetage war nicht vorgezeichnet, der Weg nach Leverskusen vielleicht doch. Als kleiner Junge schon hat Steilemann sich vorgenommen, mal in jener Fabrik zu arbeiten, die seine Lieblingsdecke hergestellt hat. „Dralon von Bayer stand da drauf, und sie war hässlich grün“, berichtet Steilemann, der direkt von der Uni weg beim Bayer-Konzern anheuerte.

Zielstrebig trieb er dort die Karriere voran, die Jahre in China waren prägend. Noch heute schwärmt er von der Wachstumsdynamik dort, dem „absoluten Hunger nach Erfolg“. Pünktlich zum Start von Covestro kehrt er 2015 zurück nach Leverkusen, übernimmt dort einen Posten im Vorstand, zu dessen Vorsitzendem er jetzt befördert wird. Das ist insofern ein Problem, als es mit der Bayer-Abspaltung bisher so überraschend glatt gelaufen ist, dass irgendwann ein Rückschlag unvermeidlich ist.

Steilemann weiß um dieses Risiko: „Es ist immer gefährlich, den Erfolg zu extrapolieren“, sagt er – was er natürlich nicht als Warnung vor schlechten Zeiten oder gar einem Knick in der Kurskurve verstanden haben will. „Covestro hat unglaublich viel Potential“, sagt der designierte Chef: „Wir wachsen in der Regel schneller als das Bruttosozialprodukt der gesamten Welt.“

Ungeahnte Reichweite

Und den Aktionären sei gesagt: Ihre Ausschüttung ist sicher. Der Neue hält an der Strategie der Eigentümerbeglückung fest: „Die Dividende möchten wir eher steigern, mindestens aber stabil halten. Außerdem läuft gerade ein Aktienrückkaufprogramm.“ Beides stützt den Kurs, verrät aber freilich nichts darüber, was der Konzern im realen Leben so treibt. Kein gewöhnlicher Mensch kann ahnen, wann er mit Covestro-Produkten in Verbindung kommt. Das aber passiert häufig.

Die Kunststoffe stecken in Fußbällen, in Gummistiefeln, im Haarshampoo. Das Material für Personalausweis und Führerschein stellen sie in Leverkusen ebenso her wie für Handy und Laptop – für jedes Handy und jeden Laptop: Überall stammt das Material der Hülle von Covestro, egal welche Marke außen draufsteht. Nicht anders verhält es sich mit den Autos. Covestro beliefert die Industrie durch die Bank. Ob die Leute BMW oder Mercedes fahren oder doch irgendwann auf Tesla umsteigen – das ist in Leverkusen ziemlich egal. Covestro ist immer dabei. „Für Elektroautos ist der Bedarf an Kunststoffen noch mal deutlich höher“, sagt Steilemann.

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Und wenn die Autos eines nicht zu fernen Tages automatisch fahren, dann freut ihn das erst recht: „Dann wird das Interieur noch wichtiger.“ Denn wer liefert das Material dazu? Richtig, wieder Covestro. Die Strategie wird der neue Konzernchef folglich nicht über den Haufen werfen. Innovation vorantreiben, Kernportfolio stärken, das sind seine Stichworte. Außerdem – und da wird’s spannend – will Steilemann „externe Opportunitäten“ nutzen, im Klartext: andere Firmen übernehmen. Seine Strategen haben bereits sondiert, wer und was passen könnte. Der Prozess ist abgeschlossen, nur sind die Preise nach Jahren des Booms stattlich. „Wir rechnen mit sehr spitzem Bleistift“, verspricht Steilemann, soll heißen: keine Übernahmen zu Mondpreisen.

Und was, wenn eines Tages jemand anklopft, um Covestro selbst zu übernehmen? Womöglich ein Staatskonzern aus China? Steilemann würde sich nicht wehren. „Wir begrüßen alle Investoren“, sagt er, „die unseren langfristigen Erfolg als selbständiges Unternehmen unterstützen, egal, wo sie herkommen.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein potentieller neuer Großaktionär auftaucht ist gestiegen, nachdem der einstige Mutterkonzern Bayer sich sukzessive zurückgezogen hat – mit hübscher Prämie übrigens.

„Es kann gut sein, dass unser Erfolg strategische Investoren anzieht. Sollten wir deswegen aufhören, erfolgreich zu sein? Wohl kaum.“ Das wiederum klingt fast nach einer Einladung des Konzerns, der im Frühjahr – überraschend jung – in den Dax aufgenommen wurde. „Es macht uns stolz, so schnell aufgestiegen zu sein, aber nicht übermütig“, sagt Steilemann. „Wir arbeiten weiter in Demut.“ Eine Party zum Amtsantritt am 1. Juni ist nicht vorgesehen. „Vielleicht köpfe ich einen Piccolo vor dem Zubettgehen“, scherzt er. Und ganz im Ernst: „Trotzdem ist der kommende Freitag ein ganz besonderer Tag für mich.“

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